Irmtraut Wäger (1919–2014) – von Rollenbildern im Nationalsozialismus bis hin zur verehrten Mutter der Tibeter.
Irmtraut Wäger war eine entschlossene und mutige Frau. Sie erlitt private Schicksalsschläge, durchlebte die Wirren des Zweiten Weltkrieges und meisterte die Herausforderungen der harten Nachkriegsjahre in Deutschland. Ihren Lebensmut und ihre Entschlossenheit konnte sie sich trotz allem erhalten.
Irmtraut Wäger heiratete mit 17 Jahren und bekam bald zwei Kinder. Aufgrund unüberbrückbarer Differenzen wurde diese Ehe Anfang der 1940er geschieden. Die Kinder blieben beim Vater, der dafür sorgte, dass sie ihre leibliche Mutter so schnell nicht mehr wiedersehen würden.
Irmtraut Wäger kämpfte für ihre Kinder. Dann gab ihr ein zuständiger Beamter zu verstehen, dass sie noch jung sei und dem Nationalsozialismus mehr dienen könnte, wenn sie mit einem neuen Mann viele neue Kinder bekäme. Sich als alleinstehende Frau um zwei Kinder kümmern zu müssen, wäre weniger nützlich.
Im nationalsozialistischen Deutschland sollte eine Frau so viele Kinder wie möglich bekommen. Besonders geburtstüchtige Frauen bekamen dafür das Ehrenkreuz für Mütter. Kinderlose Paare hingegen mussten spezielle, zusätzliche Steuern zahlen.
Die Frau wurde als Produktionsmaschine und Mütterchen am Herd stilisiert. Sie sollte für genügend menschlichen Nachschub sorgen, war gleichzeitig aber auch für materiellen Nachschub verantwortlich. De facto arbeiteten viele Frauen in den Fabriken, um genügend Waffen und Munition herstellen zu können. Gleichzeitig wurden sie als treusorgende Mütter am heimatlichen Herd ideologisiert. Ideal und Realität prallten aufeinander.
Jedenfalls beschloss Irmtraut Wäger damals, dass sie nochmals zwei Kinder bekommen würde. Aber diesmal wollte sie weder heiraten, noch sich von einem Mann abhängig machen. Diesen Entschluss setzte sie auch in die Tat um. Entgegen der damaligen Rollenvorstellungen und damit verbundenen Schande, uneheliche Kinder selbst großzuziehen, ließ sie sich nicht davon abhalten, ihren eigenen Weg zu gehen. Dieser Weg führte sie auch zu den Tibetern, die im Exil in Indien lebten, und dort versuchten, ihre Kultur und Identität zu erhalten.
Irmtraut Wäger war schon in jungen Jahren von Tibet fasziniert und las alles, was ihr dazu in die Hände fiel. In den 1960er Jahren übernahm sie erste Patenschaften für Exiltibeter in Indien.
Tibet ist nach wie vor ein tragisches Beispiel für einen Ethnozid: Nach dem Einmarsch der Roten Armee befahlen die Kommunisten die Zerstörung buddhistischer Tempel und Klöster. Sie versuchten die Tibeter umzuerziehen, damit diese sich zukünftig als chinesische Staatsangehörige identifizieren würden. Aufstände wurden blutig niedergeschlagen, unzählige Tibeter gefoltert und getötet. Durch diesen Versuch der Zerstörung der tibetischen Kultur flohen viele Tibeter nach Indien, oder schickten wenigstens ihre Kinder auf eine äußerst gefährliche Reise über den Himalaja in ein hoffentlich besseres Leben.
Das Leben in Indien war aber kein Zuckerschlecken, was Irmtraut Wäger auf ihrer ersten Indienreise in den 1970er Jahren selbst erlebte. Fortan sammelte sie Gelder, um den Tibetern in ihrer Not zu helfen. Jahrelang war sie die erste Vorsitzende der Deutsche Tibethilfe e.V., deren Ziel es mitunter ist, durch Patenschaften Bildung zu ermöglichen und somit die tibetische Kultur im Exil zu erhalten.
Für dieses Verdienst wurde sie von den Tibetern liebevoll Amala genannt. Amala ist die Tibetische Bezeichnung für ehrwürdige bzw. verehrte Mutter.
Wie sehr sie bei den Exiltibetern bekannt und beliebt war, durfte ich selbst miterleben. Während einer Indienreise traf ich einen Tibetischen Mönch, der nicht nachvollziehen konnte, dass ich damals zwar in Deutschland studierte, aber die Mutter der Tibeter noch nicht persönlich getroffen hatte. Die müsste in Deutschland doch bestimmt jeder kennen…
Literaturhinweise: