Während der Bibliotheksdienst heute weitgehend als Frauenberuf gilt, war die Bibliothek vor gut 100 Jahren eine reine Männerbastion. Als 1901 eine Frau gegen den Willen des Bibliotheksleiters ein Volontariat an der Hof- und Staatsbibliothek in München erhielt, wurde dieser Vorstoß in eine Männerwelt in der Presse heftig diskutiert.
Die spätere Pionierin des Bibliothekdienstes, Barbara Renz, wurde 1863 in Deutschland geboren. Sie war Bauerntochter und besuchte nach der Volksschule eine Klosterschule. In dieser Zeit begann sie sich intensiv mit Sprachen zu beschäftigen und legte das Lehrerinnenexamen in Italienisch und Französisch ab. Um das Abitur machen zu können, was damals für Mädchen in Bayern noch nicht möglich war, ging sie nach Zürich. Anschließend studierte sie in Rom an der Universität La Sapienza Geisteswissenschaften mit Schwerpunkt Philosophie.
Sie war es auch, die als erste Frau im Königreich Bayern promovierte. Auf eine akademische Anstellung wartete sie jedoch vergeblich und musste sich deshalb als Privatgelehrte durchschlagen. In der Hoffnung auf bessere Anstellungschancen ging sie in die USA, kehrte aber nach einigen Jahren nach Deutschland zurück, wo sie Vorträge hielt und die Zeitschrift Die Völkerschau herausbrachte. Dann erhielt sie in der Bayerischen Hof- und Staatsbibliothek in München die Möglichkeit, ein Volontariat zu absolvieren.
Barbara Renz war in ständiger Sorge um ihren Lebensunterhalt, ihre Existenz als Akademikerin war für sie als Frau perspektivlos. Deshalb bewarb sie sich um eine Volontariatsstelle an der Hof- und Staatsbibliothek. Eine Vertraute der Prinzessin Therese von Bayern (1850-1925) fungierte als Türöffnerin und schickte mehrmals Empfehlungsschreiben an den Bibliotheksdirektor Georg von Laubmann (1843-1909), die jedoch lange unbeantwortet blieben. Schließlich wurde sie trotz des großen Misstrauens des Bibliotheksdirektors, der sie als Fremdkörper in seinen Reihen empfand, als unbezahlte Volontärin aufgenommen.
Der Eintritt einer Akademikerin in eine bisherige Männerbastion erregte öffentliches Aufsehen und wurde in den Medien kontrovers diskutiert. Barbara Renz trug ihren Teil dazu bei, denn sie wollte als gleichberechtigte Mitarbeiterin behandelt werden. Das stieß bei ihren Kollegen auf weitere Ablehnung und wurde mit Spott und Häme quittiert.
Ihr Lebenswerk aber war die Erforschung der Symbolik von Baum und Schlange. Dabei ging es ihr nicht nur um eine mögliche Herkunft und Deutung der Symbolik in der Bibel, sondern sie forschte in den verschiedensten Religionen der Welt.
Der von einer Schlange umwundene Baum ist ein sehr altes und auf beiden Halbkugeln verbreitetes Symbol. Gewöhnlich erklärt man dabei die Schlange als den Genius des Baumes. Der Genius ist aber im tiefsten Sinne dieses Wortes der Zeugende, also Leben Gebende und folglich auch der das Leben Schützende. Das was von ihm belebt wird, ist der weibliche Stoff; doch soll der Stamm eines Baumes bei gewissen Völkern auch den Phallus vertreten.
Renz ging der Frage nach, warum die Schlange in nichtchristlichen Kulturen als positiv und schöpferisch gilt, während sie in der Bibel als Verkörperung des Bösen dargestellt wird. Dabei zeigte sie auf, warum in den monotheistischen Religionen keine Schöpferschlange neben einem übergeordneten Schöpfergott existieren kann.
Baum und Schlange als Repräsentanten göttlicher Kräfte genossen im Altertum bei allen historischen polytheistischen Kulturvölkern und genießen heute noch bei vielen sogenannten Naturvölkern einen religiösen Kult. Die verehrungswürdigsten Kräfte waren und sind bei diesen Völkern aber die Trieb-, Zeugungs-, und Lebenskraft, weil durch sie die Welt sich aus dem Chaos heraus entwickelt habe und sich fortwährend verjünge. Sie sind bei Völkern, die einen über der Naturkraft stehenden Schöpfer nicht kennen, die göttliche Schöpferkraft. Diese Kraft glaubte man besonders hochgradig in gewissen Tieren, deren sexuelles Leben stark hervortrat, verkörpert zu sehen. Zu diesen Tieren gehörte die Schlange. Aber auch im üppig wachsenden, sich ausbreitenden und langdauernden Baume mit und ohne Frucht verehrte und verehrt man die göttliche Triebkraft.
Barbara Renz beleuchtete die Symbole Baum und Schlange im Kontext verschiedener Religionen und Glaubensrichtungen. Ihre Erkenntnisse stellte sie in einen Zusammenhang mit Sexualität und gelebter Lust. Damit wollte sie aufzeigen, was das jeweilige Verständnis von Baum und Schlange in den verschiedenen Religionen über den Umgang und die Deutung von Sexualität und Lust aussagt.
Neben einigen kürzeren Artikeln konnte sie eine Monographie zu diesem Thema veröffentlichen: Der Orientalische Schlangendrache. Ein Beitrag zum Verständnis der Schlange im biblischen Paradies (1930). Es wird jedoch vermutet, dass sie weitaus mehr Material sammeln und auswerten konnte, das sie zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlichen konnte. Ihr Nachlass gilt als verschollen.
Literaturhinweise: