Frauenrollen

Frauen als Männer

Frauen als Männer

Über Jahrhunderte war es für Frauen die einzige Möglichkeit, ein relativ selbstbestimmtes Leben zu führen und nicht ungefragt in eine ungewollte Ehe gedrängt zu werden: das Leben als Burrnesha.

Auf dem Balkan gibt es noch die letzten Burrnesha, Frauen, die schworen, wie ein Mann zu leben. Diese Tradition wurde früher in Teilen Albaniens, in Bosnien und Herzegowina, im Kosovo, in Montenegro, in Nordmazedonien und in Teilen Westserbiens praktiziert.

Heute ist sie im Verschwinden begriffen. Die sozialen und gesellschaftlichen Strukturen haben sich verändert, es gibt keine Frauen mehr, die den Jungfrauenschwur ablegen. Doch was verbirgt sich hinter dieser aussterbenden Tradition?

Burrnesha - Schwurjungfrauen und Mannfrauen

Die Tradition ist ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der Frauen keinerlei Rechte hatten. Es war für sie der einzige Weg, selbstbestimmt durch ihr Leben zu gehen. Eine der letzten Burrnesha berichtet beispielsweise, dass in ihrem Dorf ausschließlich Männer reden durften. Frauen mussten schweigen, sich fügen. Sie durften schlichtweg keine Wünsche haben oder äußern und so wurden Frauen nicht gehört.

Durch den Jungfrauenschwur verzichten die Frauen freiwillig auf Sex, eigene Kinder und das Dasein als Frau. Als Mannfrauen haben sie beinah dieselben Rechte wie Männer: Sie dürfen sprechen, ihre Stimme erheben und werden somit auch gehört.

Legt eine Frau öffentlich einen Schwur ab, fortan die Rolle eines Mannes zu übernehmen, kann sie anschließend sogar die Position eines Familienoberhaupts einnehmen. Ihr ist sogar erlaubt, Militärdienst zu leisten und männliche Berufe zu übernehmen.

Doch nicht nur in Europa gibt es eine Tradition, in der Frauen wie Männer behandelt werden. Batscha Poschi - so werden in Afghanistan Menschen genannt, die zwar als Mädchen geboren wurden, jedoch ein Junge sein müssen - eine nicht ganz so freiwillige Verwandlung.

Batscha Poschi - die Tochter muss ein Sohn sein

In Afghanistan gibt es also die Tradition der Batscha Poschi. Wortwörtlich bedeutet das soviel wie, diejenige, die wie ein Junge gekleidet ist. Es gibt also durchaus Mädchen, bei denen die Eltern bestimmen, dass sie als Jungen erzogen werden.

Töchter gelten dort nach wie vor als Makel der Mutter, die keinen Sohn geboren hat. Söhne hingegen werden als Altersvorsorge und Beschützer der Eltern gesehen. So finden manche Eltern es besser, ihre Tochter als Sohn großzuziehen, als gar keinen Sohn zu haben.

Die Verwandlung ist gar nicht schwer: kurze Haare und Jungenklamotten verbergen das Mädchen darunter. Inwieweit die Mädchen darunter leiden oder Angst haben aufzufliegen ist zweitrangig - der Schein nach Außen und damit gesellschaftliches Ansehen scheint in diesem Fall wichtiger zu sein.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Während die Burrnesha einen öffentlichen Schwur ablegen, fortan als Mann zu leben, findet diese Form der Verwandlung bei den Batscha Poschi im Geheimen statt. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Burrnesha diesen Weg weitgehend freiwillig wählen, während die Eltern der Batscha Poschi diesen Weg für ihre Tochter schon sehr früh allein bestimmen.

Gemeinsam ist beiden Traditionen, dass sie meist als Ersatz für einen fehlenden männlichen Ernährer und Entscheidungsträger im Haushalt gewählt wurden und werden. In beiden Kulturkreisen spielt der Mann eine zentrale Rolle, weshalb es auch zu diesen Lebensformen kam.

Literaturhinweise:

  • Horváth, Aleksandra Djajic. 2003. A tangle of multiple transgressions: The western gaze and the Tobelija (Balkan sworn-virgin-cross-dressers) in the 19th and 20th centuries. Anthropology Matters Journal, 5.2,
  • Nordberg, Jenny. 2015. Afghanistans verborgene Töchter. Wenn Mädchen als Söhne aufwachsen. Hoffmann und Campe.
  • Young, Antonia. 2000. Women Who Become Men: Albanian Sworn Virgins. Berg Publishers.