Eine Frau, die Pinsel und Feder schwingt? Sie muss hysterisch werden. Kann man von einer Frau intellektuelle Tätigkeiten verlangen? Natürlich nicht!
So lautete die weit verbreitete Meinung zur Zeit der amerikanischen Malerin, Schriftstellerin und Philosophin Charlotte Perkins Gilman (1860-1935). Nach postnatalen Depressionen, Behandlungen bei sexistischen Ärzten, Nervenzusammenbrüchen und Selbstmordgedanken zog sie sich selbst aus dem Morast heraus und ging ihren Weg.
Ihre Eltern ließen sich scheiden, was zur damaligen Zeit wie ein Mal auf einem lastete. Charlotte Perkins Gilman lebte mit ihrer Mutter, die nichts als ein Hausfrauendasein gelernt hatte, fortan in Armut. Umzüge standen auf der Tagesordnung.
Sie wollte sich diesem Los aber nicht ausliefern und brachte sich schließlich selbst das Lesen bei. Dann kam eine Erbschaft und ermöglichte der 14-jährigen für eine kurze Zeit den Besuch einer Privatschule. Dort kam sie mit Darwins Evolutionstheorie in Berührung, die später die Ausgangslage ihrer eigenen Sozialphilosophie werden sollte.
Studieren konnte sie allerdings nicht, dazu fehlten ihr die nötigen finanziellen Mittel. Also brachte sie sich vieles selbst bei, indem sie in der öffentlichen Bibliothek viel las.
Charlotte Perkins Gilman erhielt einen Heiratsantrag von Charles Stetson. Sie lehnte zunächst ab, weil sie große Zweifel hatte, ob eine Ehe das Richtige für sie sei. Außerdem ahnte sie, dass dieser Mann auf Dauer nicht der Richtige für sie sein würde.
Schließlich nahm sie den Heiratsantrag an und heiratete 1884 Charles Stetson. Er hatte ihr zuvor schwören müssen, dass sie niemals Hausarbeit für ihn verrichten müsse.
Bald kam ihre Tochter Katherine zur Welt. Danach war nichts mehr wie vorher. Denn Charlotte Perkins Gilman verfiel in eine schwere Wochenbettdepression. Das wiederum bestätigte die gängige Meinung ihrer Umgebung: Frauen sind eben schwach, neigen immer zur Hysterie.
Und genau das wurde bei ihr diagnostiziert: Hysterie. Sie unterzog sich Therapien, in denen sie auch aufgefordert wurde, ihre intellektuellen Aktivitäten einzustellen.
Es ist nicht so, dass Frauen wirklich kleiner, schwächer, ängstlicher und wankelmütiger sind, aber wer, ob Mann oder Frau, immer an einem kleinen, dunklen Ort lebt, immer bewacht, beschützt, geführt und gezügelt wird, der wird dadurch unweigerlich eingeengt und geschwächt.
Intellektuelle Aktivitäten seien nichts für Frauen, sagten die Therapeuten. Als sie aus der Kur entlassen wurde, riet ihr der behandelnde Arzt, so häuslich wie möglich zu leben und bis an ihr Lebensende keine Feder, keinen Pinsel und keinen Bleistift anzurühren. Intellektuelle Betätigung habe einen schlechten Einfluss auf das weibliche Gemüt ..!
In einer kranken Gesellschaft sind Frauen mit Anpassungsschwierigkeiten nicht krank, sondern zeigen eine gesunde und positive Reaktion.
Dieses einschneidende Erlebnis verarbeitete sie später in ihrer Erzählung Die gelbe Tapete (1892).
In ihrem Werk Die gelbe Tapete verarbeitet sie ihre Erfahrungen, die sie in ihrer Ehe, der Geburt und der folgenden medizinischen Behandlung machte. Sie schreibt darüber, wie eine traditionelle Ehe Frauen einengt, physisch, geistig und emotional.
Ich liege hier auf diesem großen, unbeweglichen Bett - es ist festgenagelt, glaube ich - und folge diesem Muster Stunde um Stunde. Es ist so gut wie Gymnastik, das kann ich versichern. Ich beginne, sagen wir, ganz unten in der Ecke, dort, wo es nicht beschädigt wurde, und beschließe zum tausendsten Mal, in diesem Muster zu irgendeiner Art von Abschluss zu finden.
Die Geschichte handelt von sexueller Unterdrückung, von medizinischen Behandlungen, die nicht auf Frauen sondern nur auf Männern ausgelegt sind. Kurzum: Dieses Werk aus dem späten 19. Jahrhundert prangert Missstände an, die heute noch aktuell sind.
Nach der Veröffentlichung dieser Geschichte wurde Charlotte Perkins Gilman oft gefragt, warum sie so etwas geschrieben habe. Sie selbst litt seit einigen Jahren an Melancholie, wie sie es nannte. Ein Spezialist riet ihr, das Bett zu hüten und absolute Ruhe zu bewahren, vor allem aber, sich nicht geistig zu betätigen. Daran wäre sie fast zugrunde gegangen. Sie schlug den Rat des Spezialisten in den Wind und begann wieder zu arbeiten - ihre Rettung. So entstand Die gelbe Tapete.
In ihrem zweiten wichtigen Werk Herland (1915) beschreibt sie eine utopische Gesellschaft, in der ausschließlich Frauen leben und die deshalb frei von Herrschaft, Kriegen oder Konflikten ist. Die Frauen können selbst über ihre Körper entscheiden, haben ein Recht auf Arbeit und die Kindererziehung ist eine öffentliche Angelegenheit. Kinder entstehen durch asexuelle Fortpflanzung.
Einige Jahrhunderte zuvor hatte auf einem anderen Kontinent eine andere Frau bereits ähnliche Utopien niedergeschrieben: Christine de Pizan (c.1364-1430), die in ihrem Werk ebenfalls eine Stadt der Frauen entstehen ließ.
Charlotte Perkins Gilman war eine meisterhafte Rednerin. Im Laufe der Zeit wurden ihre Vorträge immer philosophischer. Sie versuchte zu verstehen, was der Gesellschaft denn fehle und wie man diesen Mangel beheben könnte.
Sie kam zum Schluss, dass Bildung und Erziehung von Mädchen eine zentrale Rolle spielten. Daher forderte sie höhere Bildungsmöglichkeiten für Frauen, die sie ein analytisches Denken und kritische Sichtweisen lehren sollten. Das spiegelt wohl auch ihre persönlichen Erfahrungen wider.
Kritisch stand sie der Erziehungsmethode entgegen, Kindern sogenanntes Benehmen beizubringen, das sie schlussendlich nur unterwirft. Vielmehr sollte man Kindern Vertrauen entgegenbringen und sie dadurch nicht in ihrer Entwicklung einschränken.
Charlotte Perkins Gilman heiratete ein zweites Mal - diesmal ihren Cousin Georg Houghton Gilman, der sie in ihrem Schaffen unterstützte. Über dreißig Jahre lebten sie zusammen, bis er an einem Hirnschlag starb.
Sie folgte ihm wenig später: Nachdem sie unheilbar an Brustkrebs erkrankt war, beschloss sie aus dem Leben zu scheiden. Sie hinterließ eine Notiz, auf der zu lesen war, dass sie Chloroform dem Krebs vorziehe.
Literaturhinweise: