Mit dem Satz “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen” brachte der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) einst eine ganze Epoche auf den Punkt: das Zeitalter der Aufklärung. Gemeint waren damit allerdings nicht alle, sondern ausschließlich Männer.
Schon vor Kant lebte eine Frau nach dem Satz, den er zum Motto einer ganzen Epoche machte: Émilie Marquise du Châtelet (1706-1749).
Ihr Vater förderte ihre Talente und ließ sie in Englisch, Geschichte, Italienisch, Latein, Philosophie, Physik und Spanisch unterrichten. Nach damaligem Brauch wurde Émilie Marquise du Châtelet jung verheiratet und gebar drei Kinder. Damit war ihre gesellschaftliche Pflicht erfüllt und sie konnte sich wieder ihren Studien widmen.
Sie lernte den berühmtesten französischen Aufklärer Voltaire (1694-1778) kennen, mit dem sie eine langjährige Beziehung verband. Ihren Mann schien das nicht weiter gestört zu haben, denn sie durften zusammen auf dem Landgut der Familie leben. Doch sie war weit mehr als die Geliebte Voltaires.
Émilie Marquise du Châtelet liebte Mathematik, Physik und Philosophie und löste gerne logische Probleme. Ihr wichtigstes philosophisches Werk ist die Untersuchung über das Glück. Als Triebkräfte des Lebens sah sie den Wunsch nach Glück und die Leidenschaften.
Um glücklich zu sein, ist es nötig, frei von Vorurteilen, tugendhaft und bei guter Gesundheit zu sein, Neigungen und Leidenschaften zu haben und für Illusionen empfänglich zu sein […].
Die Leidenschaften sollten aber kalkulierbar bleiben, damit das Leben nicht im Chaos endet. Dies könne nur gelingen, wenn jeder Mensch mündig sei und als vollwertige Person die Verantwortung für alles übernehme, was er als Person sei, sage oder tue.
Bereits im Spätmittelalter hatte die Philosophin Christine de Pizan (c.1364-1430) darauf verwiesen, dass eine Welt nur dann gerecht sein kann, wenn alle Menschen -nicht nur Männer- selbständig denken. Es mache nämlich keinen Sinn, sich auf die Meinung anderer zu verlassen.
In diesen Kontext passt auch der Satz: “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!” Doch für Kant waren Frauen gefühlsbetonter, weniger rational als Männer. Kant stand in der Tradition männlicher Zeitgenossen, die ähnlicher Ansicht waren.
Der Franzose Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) etwa schrieb genau über diese Gefühlsbetontheit der Frauen. Frauen seien nach ihm wie große Kinder, nur Männer hätten Verstand und könnten ihn aktiv einsetzen. Deshalb hätte die Frau auch die Aufgabe, sich dem Mann zu unterwerfen, sich ihm unterzuordnen und ihm zu dienen.
Émilie Marquise du Châtelet erfüllte ihre gesellschaftlichen Pflichten, indem sie standesgemäß heiratete und Kinder zur Welt brachte. Doch dann kümmerte sie sich nicht mehr darum, was die Gesellschaft von Frauen erwartete, was als Wesen und Rolle der Frau definiert wurde. Sie folgte ihren Interessen und wurde so zur gelehrtesten Frau ihrer Zeit, wofür ihr Voltaire in seinem Vorwort zu Newtons Werken dankte.
Literaturhinweise:
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