Chokyi Dronma (1422-1455), die erste Samding Dorje Phagmo, war eine der wenigen tibetischen Frauen in der Geschichte, die die volle monastische Ordination erhielt und eine Inkarnationslinie begründete. Die Linie der Samding Dorje Phagmo gilt als höchste weibliche Inkarnationslinie in Tibet.
Die buddhistischen Klöster spielten in Tibet eine wichtige Rolle in Bildung, Gesellschaft, Kultur und Kunst, aber auch in Politik und Wirtschaft. Mönche nahmen also aktiv an der Gestaltung aller Lebensbereiche teil. Nonnen hingegen waren nicht in dieses Einfluss- und Machtgefüge integriert.
Diese Ungleichheit wurde mit gängigen Stereotypen begründet: Frauen hätten einen schwächeren Verstand und seien anfälliger für Versuchungen. Als Frau geboren zu sein bedeutete, in früheren Leben schlechtes Karma angesammelt zu haben. Frau zu sein bedeutete also, dass es für eine Geburt als Mann nicht ganz gereicht hatte.
Dieser Unterschied spiegelt sich auch in der Sprache wider. Das tibetische Wort für Frau, Kyemen, bedeutet “von niedriger Geburt”. Dennoch konnte eine verheiratete Frau in ihrem Haushalt einflussreich sein. Da Frauen aber ein schwächerer Geist und damit geringere Fähigkeiten zugeschrieben wurden, blieb ihnen der Zugang zu Bildung oft verwehrt.
Dennoch gab es in der Geschichte Tibets einflussreiche Frauen, die entgegen den gesellschaftlichen Gepflogenheiten Bildung genossen und als angesehene Persönlichkeiten galten. Eine von ihnen war Chokyi Dronma.
Chokyi Dronma war eine Prinzessin aus Mangyul Gungthang, einem alten Königreich im Südwesten Tibets, nahe der Grenze zu Nepal. Sie wurde in eine königliche Familie hineingeboren, war aber nicht der erwartete Sohn.
Mit Erreichen des heiratsfähigen Alters wurde sie standesgemäß verheiratet. Mit 18 Jahren wurde sie schwanger und brachte ein Mädchen zur Welt, das jedoch in den ersten Lebensjahren starb. Als dies geschah, war Chokyi Dronma nicht anwesend.
Nach diesem schweren Schicksalsschlag folgte sie ihrem spirituellen Weg, wurde Nonne, erhielt die volle Ordination und begründete die einflussreiche weibliche Linie der Dorje Phagmo.
Der Sitz dieser Inkarnationslinie ist das Kloster Samding. Das Außergewöhnliche an diesem Kloster ist, dass traditionell etwa die Hälfte der Bewohner Mönche, die andere Hälfte Nonnen sind und es von einer Äbtissin, der Dorje Phagmo, geleitet wird.
Traditionell lebten und leben buddhistische Nonnen zum Teil noch heute am Rande der Klöster und der Gesellschaft. Sie wurden und werden weniger respektiert als Mönche und sahen sich immer wieder abfälligen Kommentaren und Vorurteilen ausgesetzt. Zudem gelten für sie bis heute strengere Ordinationsregeln.
Die Nonne Chokyi Dronma gilt als große Ausnahme: Zum einen war sie eine der wenigen Frauen, die in Tibet überhaupt die volle Ordination erhielten, ein Recht, für das tibetische Nonnen bis heute kämpfen. Zum anderen begründete sie eine einflussreiche weibliche Inkarnationslinie, die der Dorje Phagmo, die bis heute fortgeführt wird.
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Literaturhinweise: