Sie war jüdischer Abstammung und besiegte die Nazis bei einem Rennen im Himalaja, wofür sie öffentlich gefeiert wurde. Außerdem stellte sie einen Höhenrekord für Frauen auf, der 20 Jahre lang Bestand hatte: Hettie Dyhrenfurth (1892-1972).
Hettie Dyhrenfurth wurde 1892 als Harriet Pauline Heymann in Polen geboren. Ihren späteren Ehemann, den Bergsteiger und Geologen Günter Oskar Dyhrenfurth (1886-1975), lernte sie im Alter von 14 Jahren kennen.
Er ließ sie gleich auf einen Baum klettern, um ihre Kletterkünste zu testen. Sie bestand die Prüfung und die beiden verlobten sich heimlich. Einige Jahre später heirateten sie und bekamen drei Kinder.
Zunächst lebte die Familie in Salzburg, später in der Schweiz. Damals ahnte sie noch nicht, dass sie Bergsteigergeschichte schreiben würde.
1930 brach eine internationale Himalaja-Expedition auf, um neue Gipfel in der Kangchendzönga-Gruppe zwischen Nepal und Sikkim im östlichen Himalaja zu besteigen. Der Hauptgipfel der Gruppe ist der dritthöchste Berg der Welt. Organisiert wurde die Expedition von Günter Oskar Dyhrenfurth, maßgeblich unterstützt von seiner Frau Hettie Dyhrenfurth.
Hettie Dyhrenfurth musste sich zu Beginn der Expedition den Vorwurf gefallen lassen, eine verantwortungslose Mutter zu sein. Oder in ihren eigenen Worten:
Von vielen habe ich gehört, es wäre unverantwortlich von mir gewesen, meine Kinder im Stich zu lassen und aus reiner Abenteuerlust die Expedition mitzumachen. Wohl selten ist ein ungerechterer Vorwurf gemacht worden. In all den Jahren, die ich mit meinem Mann für die Verwirklichung seiner Pläne kämpfte, war ich mir immer bewußt, daß für mich diese Expedition etwas Furchtbares bedeutete. Ich war ja nicht mehr der vergnügte Backfisch von einst, der sich nichts Schöneres denken konnte, als mit dem geliebten Mann Gefahren und Abenteuer zu erleben. Ich war ja Mutter geworden und restlos glücklich mit meinen drei Kindern. Kein Land der Welt und kein noch so schöner Berg könnte mir das Zusammensein mit ihnen ersetzen. Aber als die Expedition feststand, war mir klar, daß ich mitgehen mußte. Meine Kinder waren in guter Obhut bei den Großeltern und einer lieben Freundin unserer Familie, während mein Mann in Gefahr war und meine Hilfe brauchen konnte.
Die Expedition startete mit dem Schiff in Venedig. An Bord nahm Hettie Dyhrenfurth Hindi-Unterricht von mitreisenden Indern, ohne zu ahnen, dass rund um den Kangchendzöngna, ihrem Ziel, ganz andere Sprachen gesprochen wurden.
Abends wurde getanzt. Allerdings tanzte Hettie Dyhrenfurth auch mit den Indern, was bei den anderen Europäern gar nicht gut ankam. Schließlich tanzte kein Europäer mit “coloured people”, also Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe. Um weder die Inder noch die Europäer zu beleidigen, tanzte Hettie fortan gar nicht mehr.
Von Bombay ging es über Delhi nach Darjeeling und von dort nach Sikkim. Hettie Dyhrenfurth kümmerte sich dabei um Proviant und Gepäck. Ihre abenteuerlichen Reiseeindrücke hielt sie in ihrem Buch Memsahb im Himalaja fest.
Hettie Dyhrenfurth und ihr Mann lieferten sich in den 1930er Jahren einen Wettlauf mit einer konkurrierenden Nazi-Expedition. Ziel war es, als erste einen Achttausender im Himalaja zu besteigen.
Den “dritten Pol”, wie der Himalaja wegen seiner großen Wasservorkommen genannt wird, bezwangen schließlich die Dyhrenfurths. Dafür erhielten sie 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin die Goldmedaille im Bergsteigen. Ein Ehepaar mit jüdischen Wurzeln hatte die Nazis im Wettlauf besiegt …
Am Sia Kangri, der im Grenzgebiet zwischen der pakistanischen Region Gilgit-Baltistan, dem indischen Ladakh und dem von China beanspruchten Shaksgam-Tal liegt, stellte Hettie Dyhrenfurth zudem einen Höhenweltrekord für Frauen auf.
Am 3. August 1934 bestieg sie mit ihrem Mann und weiteren Bergsteigern den 7315m hohen Westgipfel. Damit war sie 20 Jahre lang, bis 1954, die Frau, die nachweislich auf dem höchsten Gipfel der Welt stand.