Talentiert, aber gesellschaftlich nicht erwünscht. Die Schicksale der Maria Anna Mozart und der Cornelia Goethe stehen exemplarisch für viele Frauen, die sich Rollenerwartungen beugen mussten.
Am 18. August 1763 begegneten sich zwei Geschwisterpaare in Frankfurt am Main: die Geschwister Mozart und Goethe. Maria Anna Mozart und ihr Bruder Wolfgang Amadeus gaben dort ein Konzert auf ihrer Europatour, die dreieinhalb Jahre andauern sollte. Beide wurden als Wunderkinder gefeiert. Im Zuschauerraum befand sich ein weiteres talentiertes Geschwisterpaar: Cornelia und Johann Wolfgang Goethe.
Obwohl Maria Anna Mozart und Cornelia Goethe in ihren Metiers großes Talent aufwiesen, mussten sie sich gesellschaftlichen Normen und Rollenvorstellungen beugen. Frauen sollten schließlich gute Ehefrauen und Mütter werden, nicht berühmt.
Maria Anna Mozart (1751–1829) galt genauso wie ihr Bruder Wolfgang Amadeus (1756–1791) als musikalisches Wunderkind, als Klaviervirtuosin. In ihren Kindertagen gaben die Geschwister gemeinsam umjubelte Konzerte. Während Wolfgang Amadeus von seinem Vater gefördert wurde und Weltruhm erlangte, ging seine Schwester leer aus. Eine gute Partie und eine Kinderschar waren die wichtigsten Ziele einer Frau - so das damalige Gesellschaftsbild.
Als Maria Anna 16 Jahre alt war und somit das heiratsfähige Alter erreicht hatte, durfte sie ihren Bruder nicht mehr auf den Konzertreisen begleiten. Dass auch sie Talent zum Komponieren besaß, lässt sich in einem Brief ihres Bruders nachlesen:
Ich habe mich recht verwundert, daß du so schön Componiren kanst, mit einen wort, das lied ist schön, und probiere öfter etwas.
Maria Anna Mozart kümmerte sich im Elternhaus um den Haushalt und gab Klavierstunden. Während ihr Bruder sich von seinem Vater loslöste, verhielt sie sich wie es sich für eine Frau ihrer Zeit gehörte: dem Vater (und später dem Ehemann) gegenüber gehorsam.
Ihre große Liebe konnte sie aus finanziellen Gründen nicht heiraten. Stattdessen ehelichte sie einen Mann, den ihr ihr Vater ausgesucht hatte. Auf Anraten ihres Vaters kümmerte sie sich nach der Geburt des ersten Kindes nicht selbst um den Sohn, sondern überließ die Erziehung und somit das Kind ihrem Vater.
Maria Anna Mozart überlebte ihren Bruder um viele Jahre, kümmerte sich später sogar um seinen Nachlass. Die gesellschaftliche Unterdrückung schien sie zeit ihres Lebens mit Fassung getragen zu haben. Sie arrangierte sich. Andere Schwestern berühmter Männer hingegen zerbrachen an der Nichtverwirklichung der eigenen Persönlichkeit.
Cornelia Goethe (1750-1777) wurde nur 15 Monate nach ihrem Bruder Johann Wolfgang geboren. Während die meisten Frauen lediglich auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter vorbereitet wurden, erhielt Cornelia Goethe anfangs die gleiche Bildung wie ihr großer Bruder. So wurde sie in Schreiben, Rechnen, Sprachen, Recht, Geographie, Fechten, Reiten, Klavier, Gesang, Zeichnen, Tanz und Anstandslehre unterrichtet. Aber an die Uni zum Studieren durfte sie nicht.
Johann Wolfgang schätzte seine Schwester für ihren Intellekt. Dennoch wies er sie auf ihre gesellschaftlichen Pflichten hin, die sie doch als Frau zu erfüllen hatte. Auch gab er ihr Leseempfehlungen für nicht allzu schwere Lektüre. Frauen sollten sich nicht mit anspruchsvoller und intellektueller Kost verderben.
Ich bin außer mir über Deinen Brief, Deine Aufsätze, Deine Art zu denken. Ich sehe in Dir nicht mehr das Mädchen, die Cornelie, meine Schwester, meine Schülerin, ich sehe in Dir einen reifen Geist, eine Riccoboni, eine Fremde, einen Autor, von dem ich meinerseits lernen kann.
Cornelia Goethe hatte eine schriftstellerische Begabung. An ihre Freundin Katharina Fabricius schickte sie ihre sogenannten geheimen Tagebücher in Französisch, die Correspondence Secrète. Dieser Briefroman, der aus der zweiten Hälfte der 1760er stammt, zeigt ihr Talent für genaue Beobachtungen und schriftstellerische Qualität. Cornelia Goethe entpuppt sich als Gesellschaftskritikerin, kritisierte sie doch die gehobene Frankfurter Gesellschaft und deren Ideale. Insgesamt ist es eine Anklage und eine Darstellung eines Schicksals, das sie als Frau erdulden musste.
[Ihr Bruder] bat sie, neben den Sprachen auch die Haushaltung und die Kochkunst zu studieren, sich im Klavierspielen, Tanzen und Kartenspielen zu perfektionieren und den Putz mit Geschmack zu tragen. „Wirst du nun dieses alles, nach meiner Vorschrift getahn haben, wenn ich nach Hause komme; so garantire ich meinen Kopf, du sollst in einem kleinen Jahre das vernünftigste, artigste, angenehmste, liebenswürdigste Mädgen, nicht nur in Frankfurt, sondern im ganzen Reiche sein.“ (Leipzig, 12. Oktober 1767)
Entsprechend der gesellschaftlichen Erwartungen heiratete Cornelia Goethe. Ihre Ehe mit dem Anwalt Johann Georg Schlosser (1739-1799) war aber keineswegs glücklich. Für ihn waren Frauen untergeordnete Wesen, die ihren Pflichten als Hausfrau nachzukommen hatten. An ihren intellektuellen Fähigkeiten zeigte er kein Interesse. Eine Frau, die an ihrem Intellekt interessiert war, drang unerwünscht in Männerwelten ein und galt als unnatürlich und unweiblich.
Was mag in dieser hochgebildeten und talentierten Frau vorgegangen sein, als sie sich den gesellschaftlichen Normen beugte? Jedenfalls endete ihr Leben früh. Sie verstarb kurz nach der Geburt der zweiten Tochter. Ihre letzten Lebensjahre waren geprägt von Depressionen und Melancholie. Sie isolierte sich und schrieb wohl auch nicht mehr.
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