Zu wenig rational und daher uninteressant für die denkende Männerwelt - so lautete das philosophisch vernichtende Urteil, obwohl Hadewijch eine durch und durch inspirierende Denkerin, Philosophin, Dichterin und sogar Komponistin war.
Hadewijch war eine Dichterin, Mystikerin und Philosophin des 13. Jahrhunderts, die vermutlich im Herzogtum Brabant in den Niederlanden lebte. Die meisten ihrer erhaltenen Schriften sind jedenfalls in einer brabantischen Form des Mittelniederländischen verfasst.
Ihre Schriften umfassen Visionen, Prosabriefe und Gedichte. Bemerkenswert ist, dass sie zudem Minnelieder schrieb, die die mystische Liebe zwischen Gott und Mensch zum Thema haben. Ihre Kompositionen wurden lange Zeit nicht als solche erkannt, sondern als strophische Gedichte betrachtet. Inzwischen ist es jedoch gelungen, sie als Lieder zu klassifizieren und Melodien zu rekonstruieren.
Ihre 45 Strophengedichte oder Lieder sind lyrische Dichtungen, die den Formen und Konventionen der Troubadoure und Minnesänger ihrer Zeit folgen, aber in niederländischer Sprache verfasst sind. An die Stelle des weltlichen Liebeswerbens tritt die sublimierte Liebe zu Gott.
Einige ihrer Werke sind Kontrafakturen lateinischer und volkstümlicher Lieder und Hymnen. Darunter versteht man einen Gegenentwurf oder eine Nachdichtung, in diesem Fall eines weltlichen Liedes, wobei die ursprüngliche Melodie beibehalten wird.
Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass Hadewijch Gedichte verfasst hatte, bis der Utrechter Musikwissenschaftler Louis Peter Grijp nachweisen konnte, dass fünf ihrer Gedichte Kontrafakturen sind. Ihm gelang es, die Melodien zu rekonstruieren. Seither wird von Hadewijchs Liedern und nicht mehr von Gedichten gesprochen. Die Lieder sind als CD erschienen und auch online abrufbar.
Über das Leben der Hadewijch ist wenig bekannt. Einige Informationen lassen sich jedoch aus ihren Aufzeichnungen entnehmen. So soll sie mit Freundinnen zusammengelebt haben und zeitweise auf Wanderschaft gewesen sein.
In ihrem Verzeichnis der vollkommenen Zeitgenossen erwähnt sie vor allem Personen, die in der Institution Kirche eine Randposition einnahmen, aber keine geistlichen Würdenträger. So ist von Eremiten, Beginen, verbannten Priestern usw. die Rede. Auffallend ist, dass die meisten dieser vollkommenen Zeitgenossen Frauen waren, was den Schluss zulässt, dass sie in einer religiösen Frauengemeinschaft eine Heimat gefunden hatte.
Ab dem Ende des 12. Jahrhunderts entschieden sich in Westeuropa immer mehr Frauen für ein Leben in Enthaltsamkeit und Keuschheit, ohne jedoch in ein Kloster einzutreten. Sie gingen damit einen Mittelweg: Sie waren weder Laien noch Nonnen, sondern Beginen. Diese Lebensform frommer Frauen wurde mit Argwohn betrachtet.
Hadewijch selbst war allem Anschein nach die geistliche Leiterin einer Beginengruppe. Sie wollte ihre Gruppe in der Minne ausbilden, der Liebe als Begegnung mit Gott - Minne als wahre Gottesliebe. In diesem Sinne sind auch alle ihre Schriften zu verstehen. Um die hohe Minne leben zu können, bediente sie sich der Askese.
Jetzt merkt euch alle, ihr Klugen,
wie groß die Kraft der Minne ist:
Sie besitzt das mächtige Zepter
über alles, was Gott erschuf.
Ihn selbst brachte sie in den Tod!
Vor Minne gibt es keinen Schutz.
Arbeitet treu in der Minne und werdet ihr gleicher
und schmeckt vollkommen ihre edle Güte.
Aus ihren Schriften geht hervor, dass sie die lateinischen Texte der mystischen Literatur sowie die bedeutendsten Theologen ihrer Zeit wie Augustinus oder Bernhard von Clairvaux kannte. Auch mit den höfischen Sitten und Gebräuchen war sie vertraut.
Hadewijch ist ein Beispiel für eine Philosophin, die in der von Männern dominierten Welt der Philosophie wenig Beachtung fand, weil sie eine Frau war. Dies wurde manchmal damit begründet, dass es der Mystik, wo sie angesiedelt ist, an Rationalität mangele und sie daher für manche Männer nicht philosophisch erwägenswert erschien. Dennoch lässt sich in Hadewijchs Schriften eine philosophische Linie erkennen.
Hadewijch ging es um die Einheit, um das Bewusstwerden und Einswerden des Unterschiedslosen. Die Seele verstand sie als Gott gleich. Auf dieser Grundlage ist die Seele in Gott selbst als Urbild bereits präexistent.
Liebe, so ließe sich Hadewijchs Konzept auf den Punkt bringen, betrifft die positive geistige Erfahrung der eigenen als der gleichzeitig göttlichen Freiheit.
Hadewijch verstand die Liebe als Zugang zum Absoluten, ein Zugang, der zugleich ein Zugang zu sich selbst ist. Denn Liebe umfasst auch das Bewusstwerden der eigenen Freiheit.
Literaturhinweise:
.
Verwandter Beitrag: