Wir befinden uns in den Anden, zwischen 1440 und 1450: Ein Mädchen, etwa 14 Jahre alt, 1,40 m groß und 35 kg schwer, tritt ihren letzten Gang an. Sie ist dazu bestimmt, ihrer Gemeinschaft zu dienen. Sie ist nämlich auserwählt, den Opfertod zu sterben - eine besondere Ehre für ihre Zeit.
In Sandalen steigt sie, begleitet von Priestern, auf etwa 5000 Meter Höhe. Vor ihrem Opfertod werden ihr vermutlich Drogen verabreicht. Dann erhält sie einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf und wird in der eisigen Höhe zurückgelassen. Ende des 20. Jahrhunderts wird ihr mumifizierter Leichnam gefunden.
1995 entdeckte der Archäologe und Anthropologe Johan Reinhards in den Anden ein Stoffbündel. Das Bündel entpuppte sich als der gefrorene Leichnam eines Inka-Mädchens, das vor rund 500 Jahren den Göttern geopfert worden war. Gut erhalten in über 5000 m Höhe wurde dieses junge menschliche Opfer in der Nähe des Ampato-Gipfels in Peru gefunden.
Juanita, wie die Mumie aus dem Eis getauft wurde, gilt als eine der am besten erhaltenen Mumien, die je gefunden wurden. Sie ist eine Zeitkapsel, ein Tor zur Geschichte und zum Leben der Inkas. 2023 wurde ihr Gesicht von Wissenschaftlern rekonstruiert.
In vielen Regionen und Kulturen der Welt spielt das Opfer eine zentrale Rolle. Die Formen der Opfer sind vielfältig und reichen von materiellen Gaben über Tieropfer bis hin zu Menschenopfern.
Bei der Capacocha, einem Ritual der Inkas, wurden vor allem Kinder und Tiere den Göttern geopfert, um auf Naturkatastrophen zu reagieren, die Macht des Staates zu festigen oder einfach um den Göttern zu gefallen. Das Ritual spielte eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des Inkareiches. Dazu gehörten Feste und große Prozessionen, um die Kinder zu begleiten, die anscheinend wegen ihrer Schönheit und körperlichen Perfektion ausgewählt wurden. Es wird angenommen, dass die Familie und die Gemeinschaft des Kindes es als große Ehre ansahen, für das Opfer ausgewählt worden zu sein.
Die Wissenschaft geht davon aus, dass Juanita aufgrund klimatischer Veränderungen den Göttern geopfert wurde. Die Götter in den Bergen sollten besänftigt werden und im Gegenzug wieder mehr Wasser spenden. Denn nach dem Glauben der Inkas kontrollierten die Geister oder Götter in den Bergen das Wetter und damit das lebenswichtige Gut Wasser.
Literaturhinweise: