Frauenrollen Pionierinnen

Mary Kingsley – allein durch Westafrika

Mary Kingsley – allein durch Westafrika

Als Frau des auslaufenden 19. Jahrhunderts alleine nach Westafrika, um Fische und Einheimische zu erforschen, das war unerhört und wurde dennoch gefeiert.

Die Engländerin Mary Kingsley (1862–1900) war 30 Jahre alt, als sie beschloss, alleine durch Westafrika zu reisen. Dort wollte sie Einheimische erforschen und Fische studieren, die bis damals in Europa noch keiner kannte. Für dieses Vorhaben wurde sie für verrückt erklärt.

Eine Frau machte sowas nicht. Als Frau alleine eine solche Reise wagen? Unvorstellbar im England des auslaufenden 19. Jahrhunderts. Schon starke Männer erkrankten dort lebensbedrohlich, für eine Frau müsste das also den sicheren Tod bedeuten - so die damalige Meinung.

Kritik an Missionaren

Mary Kingsley wagte es dennoch und reiste nach Westafrika. Dort beschrieben ihr Missionare die Eingeborenen. Kingsley stellte jedoch bald fest, dass diese Beschreibungen nichts mit der Realität zu tun hatten, sondern vielmehr das Weltbild der Missionare widerspiegelte.

Sie selbst wollte nicht die Menschen sehen, wie sie nach Europäischen Standards hätten sein sollen, sondern wie sie wirklich waren. Deshalb versuchte sie die Menschen zu verstehen und nicht von oben herab zu betrachten oder in irgendwelche Schubladen zu stecken. Genau das warf sie den Missionaren vor.

Afrikaforscherin

Während zweier längeren Afrikareisen studierte und erforschte Mary Kingsley verschiedene Stämme. Sie erkundete Gebiete in Gabun, Ghana, Kamerun, Kongo und Nigeria. Dafür lebte sie bei Volksstämmen, lernte deren Sprachen, beobachtete und versuchte das Beobachtete zu verstehen. Zusätzlich sammelte sie für das British Museum bislang unbekannte Fische. Sie selbst war besonders stolz darauf, dass sie die schwierigen Kanus der Einheimischen sicher steuern konnte.

Ihren Mut bewies sie auf ihren Reisen mehr als einmal: Sie betrat Gebiete, die vorher noch kein Europäer betreten hatte, lebte bei Kannibalen, blieb im Sumpf stecken, war mit Blutegel übersät und begegnete Gorillas. Letztere bezeichnete sie als schrecklichste Tiere, die sie je gesehen hatte. Trotz allem liebte sie Afrika und ihre Reisen, die ihr ganz neue Perspektiven eröffneten.

Schriftstellerin

Zuhause in England machte sie sich rasch einen Namen als Afrikaforscherin. Ihre Bücher wurden Bestseller. Allerdings brachten ihre Kritik an den Missionaren, an der Europäischen Sichtweise und den Umgang mit anderen Völker auch ihr Kritik ein.

Ihre Erfahrungen gab sie in Vorträgen weiter. An einem Ladies College gab sie den Frauen, die selbst in die Welt aufbrechen wollten, den Rat, besser nicht zuzugeben, wenn sie ledig auf Reisen wären. Sie selbst musste sich dadurch nur noch unangenehmeren Fragen stellen. Behaupte man aber, dass man gerade auf der Suche nach dem Ehemann wäre, würde einem ohne weiteres Nachfragen auf der Reise weitergeholfen.

Wie war das alles möglich?

Mary Kingsley hatte das Glück, dass sie mit 30 Jahren frei wurde. Zuvor hatte sie ihre Eltern gepflegt, die kurz nacheinander verstorben waren. Eine Erbschaft und der Umstand, dass sie nicht verheiratet war, ermöglichten ihr ein freies und relativ selbstbestimmtes Leben.

Die Leidenschaft für fremde Völker und Kulturen hatte sie von ihrem Vater geerbt, der selbst mehrere Forschungsreisen unternommen hatte. Obwohl sie keine Schulausbildung erhalten hatte, da ihr Vater das für ein Mädchen nicht für wichtig erachtet hatte, wurde sie zu einer bekannten Schriftstellerin und anerkannten Forscherin. Das Lesen hatte sie sich selbst beigebracht. Die Bibliothek ihres Vater war gut bestückt und so tauchte sie autodidaktisch in verschiedene Wissensgebiete ein.

Hartnäckige Rollenklischees

Trotz ihres Erfolges konnte sie die ihr anerzogenen Frauenbilder und damit zusammenhängenden Klischees nie komplett abstreifen. So hielt sie fest:

Eine großartige Frau kann einen mittelmäßigen Mann übertreffen, aber keine Frau kommt jemals einem wirklich großartigen Mann gleich.

  • In: Travels in West Africa, Congo Français, Corisco and Cameroons, 2010 [1897], S. 659, von Mary Kingsley.

Eigentlich war der Umstand, im viktorianischem England mit 30 Jahren noch unverheiratet zu sein, gleichbedeutend mit einem sozialen Tod. Als Frau hatte sie die an ihr gestellten Erwartungen nicht erfüllt. Doch Mary Kingsley fand den Mut, die Welt zu erkunden. Dabei schrieb sie Geschichte, auch wenn sie zeitlebens mit bestehenden Rollenbildern haderte.

Literaturhinweis:

  • Blunt, Alison. 1994. Travel, Gender and Imperalism. Mary Kingsley and West Africa. New York: Guilford Press.