Die Vorstellung, dass am Anfang der Menschheitsgeschichte die Männer das Sagen hatten, hält sich hartnäckig. Damit bedienen wir ein gängiges Geschlechterstereotyp. Doch es gibt Momente, in denen festgefahrene Klischees ins Wanken geraten. Es wird deutlich, dass nicht immer alles von vornherein so eindeutig ist und dass sich Vorstellungen von Lebensformen und Gemeinschaftsorganisation nicht einfach über alle Zeiten und Gruppen stülpen lassen.
Einer dieser wunderbaren Momente war kürzlich, als entdeckt wurde, dass ein vermeintlicher Fürst, der vor etwa 5000 Jahren lebte, doch eine Fürstin war. In der iberischen Kupferzeit war die heute prominenteste Führungspersönlichkeit also eine Frau.
Die allgemeinen Vorstellungen und Stereotypen der Gegenwart prägen auch unser Verständnis und unsere Interpretation der Vergangenheit. Das 2008 in Valencia in Südspanien entdeckte Fürstengrab ist ein gutes Beispiel dafür:
Kostbare Grabbeigaben wie ein Dolch mit Elfenbeingriff und Bergkristallklinge, Keramikobjekte, für Südspanien ungewöhnliche Straußeneierschalen, Bernstein, Spuren von Wein und Cannabis sowie die Verwendung von reichlich Zinnober wurden im Grab gefunden. Die erste Schlussfolgerung lautete: Es handelt sich um ein besonderes Grab einer besonderen Person, die eine gesellschaftlich wichtige Rolle gespielt hat. Kurzum: Hier muss ein Mann begraben sein. Schließlich geht man nach wie vor davon aus, dass in der Frühzeit der Menschheit Männer das Sagen hatten, dass Männer Führungspositionen innehatten.
Der Zahn der Zeit nagt bekanntlich an den Zeugnissen der Geschichte. Doch in diesem Fall war es der Zahn der Zeit, der Licht ins Dunkel brachte. Eine Zahnanalyse, genauer gesagt eine Analyse des Zahnschmelzes, brachte ein überraschendes Ergebnis: Der Fürst war eine Fürstin.
Bei der Bildung des Zahnschmelzes spielt ein Protein eine Rolle, das sich bei Männern und Frauen leicht unterscheidet. So lässt sich das Geschlecht bestimmen.
In unmittelbarer Nähe der Fürstin wurden bisher 15 weibliche Skelette gefunden, die etwa zwei bis drei Generationen nach der Fürstin dort bestattet wurden. Auch diesen Frauen wurden kostbare Beigaben wie Muschelperlen oder reichlich Zinnober mit ins Grab gegeben.
Die frühe Fürstin ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich vermeintliche Selbstverständlichkeiten manchmal als Irrtum erweisen. Es zeigt, dass es sich lohnt, kritisch zu bleiben, Ereignisse und Geschehnisse nicht unhinterfragt hinzunehmen und offen für neue Erkenntnisse zu sein.
So ist es gut, dass sich unser Wissen ständig weiterentwickelt, dass Geschichte neu geschrieben wird und nicht starr wie in Stein gemeißelt stehen bleibt - oder wie es der vorsokratische Philosoph Heraklit ausdrückte: Panta rhei - alles fließt. Gleichzeitig ist es gut, dass neue Erkenntnisse auch unsere Gegenwart und letztlich unsere Zukunft in den unterschiedlichsten Facetten bereichern - im Idealfall jedenfalls.
Literaturhinweise:
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