Was die Österreicherin Rosa Mayreder (1858–1938) zu den Themen Frauen, Sexualität, Krieg und Macht vor 100 Jahren niederschrieb und warum das heute noch aktuell ist.
Anti-Freudianerin, Feministin, Friedensaktivistin, Malerin, Patriarchatskritikerin, Philosophin, Schriftstellerin und Soziologin – all diese Rollen vereinte Rosa Mayreder. Dabei ließ sie sich nicht so einfach in vorgegebene gesellschaftliche Rollen zwängen und legte beispielsweise mit 18 Jahren das Korsett ab. Das war ihre Art, gegen traditionelle Frauenrollen zu protestieren.
Sie fragte sich, wie es sein konnte, dass das Geschlecht über Bildungsmöglichkeiten entscheiden konnte, warum Frauen entweder bürgerlichen Konventionen folgten oder – in selteneren Fällen – doch einen Weg der Selbstverwirklichung einschlugen. Sie selbst empfand Klischees wie typisch männlich oder typisch weiblich als kulturelle Norm und nicht als natürliche Gegebenheit.
Ihre Bildungschancen musste sie sich erkämpfen. So setzte sie durch, dass sie in den Fächern Griechisch, Latein, Französisch und Kunst unterrichtet wurde. Als Gegenzug musste sie, wie für Frauen des Bürgertums üblich, das Klavierspielen erlernen. Fächer wie Literatur und Philosophie musste sie sich allerdings selbst beibringen.
Die Heirat mit dem Architekten Karl Mayreder ermöglichte ihr ein Leben ohne Existenzsorgen und zugleich die von ihr angestrebte Selbstverwirklichung. Rosa Mayreder wurde zuerst eine bekannte Malerin, später machte sie sich als Schriftstellerin und Philosophin einen Namen.
Man wird erst wissen, was Frauen sind, wenn ihnen nicht mehr vorgeschrieben wird, was sie sein sollen.
In ihren beiden Hauptwerken, Zur Kritik der Weiblichkeit und Geschlecht und Kultur, analysierte sie die Differenz der Geschlechter und deren jahrhundertelange Reproduktion. Zum Beispiel empfand sie eine Mutterschaft an sich nicht als Benachteiligung für Frauen. Allerdings machte die Gesellschaft eine daraus, indem die Frau durch eine traditionell gelebte Mutterschaft zuerst gebunden und schließlich abhängig wurde. Männer sicherten sich dadruch die Herrschaft und machten aus Frauen Wesen zweiter Klasse - so Mayreder.
Auch befasste sie sich mit den Rollen von Männern (In: Zur Kritik der Weiblichkeit), schrieb über die Männlichkeit und über die Krise der Väterlichkeit (In: Geschlecht und Kultur). Wie so oft in der Geschichte sollten ihre Werke schon bald nach ihrem Ableben in Vergessenheit geraten.
Dabei behandelte Rosa Mayreder Themen, die an Aktualität nichts eingebüßt haben, wie etwa das Zusammenspiel von Sexualität, Macht und Prostitution. Sie warnte davor, Prostituierte moralisch zu verurteilen. Dabei kämpfte sie zwar gegen die Prostitution, nicht aber gegen Prostituierte.
Vielmehr verwies sie auf den Zusammenhang von Macht und Sexualität in einem Ambiente, das von patriarchalischen Strukturen geprägt ist. Hier entpuppt sich eine Doppelmoral: Prostituierte werden zwar regelmäßig aufgesucht, aber von den gleichen Männern öffentlich für ihre Tätigkeit und für ihr Sein verurteilt. Mayreder hingegen forderte für Prostituierte einen Schutz der Menschenwürde.
Auch sah Rosa Mayreder einen Zusammenhang zwischen männlicher Sexualität und Machtdemonstrationen, zwischen Krieg und Vergewaltigungen.
Es ist keine zufällige, sondern eine gesetzmässige, mit der kriegerischen Disposition eng verknüpfte Erscheinung, dass in jedem Krieg Vergewaltigung an Frauen der feindlichen Nation geübt wird
Eine Vergewaltigung ist in diesem Kontext mitunter ein Zeichen von Hassgefühlen, was in Kriegszeiten wiederum zu verheerenden Schandtaten an Frauen führt. Die Vergewaltigung einer Frau, die dem Gegner „gehört“, stellt die Inbesitznahme und Demütigung des Gegners dar. Macht wird demonstriert. Ein solcher Akt symbolisiert für den Akteur in dem jeweiligen Moment die eigene Überlegenheit gegenüber der bekämpften Gruppe – sowohl zur Zeit Rosa Mayreder‘s, als auch heute noch…