Klischees

Menstruationstabu

Menstruationstabu

Die Hälfte der Menschheit tut es, im Durchschnitt etwa 40 Jahre lang, jeden Monat, etwa eine halbe Tasse voll (ca. 60 ml) - die Rede ist von der Menstruation. Kaum ein Thema wurde seit der Antike rund um den Globus so negativ diskutiert, versteckt, tabuisiert.

Die Tage, Periode, Tante Rosa, der Maler im Keller, Erdbeerwoche, rote Welle - es gibt viele Ausdrücke für das, was immer noch ein großes Tabu ist. Für manche Männer ist das wiederum Anlass, sich mit coolen Sprüchen wie “Ein guter Seemann sticht auch ins Rote Meer” zu brüsten - Zeit für eine Spurensuche im Sumpf der Mythen, pseudowissenschaftlichen Theorien und patriarchalen Unreinheitsvorstellungen rund um die Menstruation.

Historische Spurensuche

Männer aller Zeiten waren sich einig: Das ist giftig, das ist verunreinigend, das hat negative Auswirkungen, das ist einfach ein Zeichen für das Mangelwesen Frau. Das hatte wiederum weitreichende gesellschaftliche und soziale Folgen für die Frauen. Aufzeichnungen dazu gibt es bereits seit der Antike.

Der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras (c.570-510 v. Chr.) sah in der Menstruation der Frau eine Möglichkeit, überschüssige Nährstoffe aus der Nahrung auszuscheiden. Der Philosoph Aristoteles ( 384-322 v. Chr.) ging noch einen Schritt weiter und nutzte das Phänom der monatlichen Blutung, um seine These zu untermauern, dass Frauen lediglich “verkrüppelte Männlein” seien.

Im Mittelalter wurde mit dem Bluten auf den Sündenfall hingewiesen. Auch die Universalgelehrte Hildegard von Bingen (1098–1176) benutzte diese Logik. Sie war jedoch eine der wenigen, die auf die lebensspendende Komponente der Menstruation hinwies.

Interessant werden die Interpretationen im Zeitalter der Aufklärung. Für Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) war die Menstruation ein Zeichen der Minderwertigkeit und Unvollständigkeit der Frau. Sie sei Ausdruck der “verderblichen Zivilisation”, womit natürlich die Natur der Frau gemeint war. Schließlich, so Rousseau, sitze eine Frau den ganzen Tag faul zu Hause herum, esse zu viel und tue auch sonst wenig Nützliches - daher die Blutung.

Religiöse Stimmen

Im Volksglauben wurden menstruierenden Frauen Hexerei und Dämonie zugeschrieben: Während ihrer Menstruation sollen sie Pflanzen verderben, Milch gerinnen, Bier umkippen und Wein sauer machen können. Durch den bösen Blick der Menstruierenden könnten Lebewesen erkranken, sogar Metalle rosten und Spiegel trüb werden.

Diese Form der Unreinheit, des vermeintlichen “Nichtvollkommenseins”, wurde in verschiedenen Religionen für diskriminierende Praktiken gegenüber Frauen benutzt: In der Bibel heißt es im 3. Buch Mose, dass Frauen sieben Tage lang unrein sind, wenn sie ihre Blutung haben. Nach weiteren sieben Tagen ohne Blutung gelten sie wieder als rein. Früher durften Frauen, die ihre Tage hatten, die Kirche nicht betreten. In den orthodoxen Kirchen sind menstruierende Frauen auch heute noch von der Kommunion ausgeschlossen. Muslimische Gläubige hingegen dürfen während ihrer Menstruation den Gebetsraum nicht betreten und auch den Koran nicht berühren, da sie als unrein gelten.

In Nepal müssen sich Frauen während der Blutung sogar in eine spezielle Hütte zurückziehen. Und auch in buddhistischen Texten wird die monatliche Blutung von Frauen als Zeichen ihrer geistigen Unterlegenheit gedeutet. Schließlich symbolisiert die Geburt einer Frau, dass das Karma aus einem früheren Leben nur zur Frau, nicht aber zur Wiedergeburt als Mann gereicht hat.

Hinduistinnen ist der Besuch von den meisten Tempeln untersagt. Aber da gibt es noch den Kamakhya Tempel in Indien, einen hinduistischen Tempel, in dem die Göttin Kamakhya verehrt wird. In einem jährlichen Festival wird dort die Menstruation der Göttin zelebriert und verehrt - ein Einzelfall.

Zyklus, Protest und Selbstliebe

Auch heute noch suggeriert uns die Werbung, dass die Menstruation unsichtbar ablaufen muss. Wem ist aufgefallen, dass in der Werbung für Hygieneprodukte Blut blau und nicht rot dargestellt wird? Verschiedenste Produkte sollen Frauen helfen, den ganzen Monat über äußerlich gleich zu bleiben, keiner soll etwas merken, das zyklische Wesen einer Frau findet oft höchstens im Geheimen statt. Manche nehmen sogar durchgehend die Pille, damit sich bloß keine Blutung einstellt.

Aber es gibt auch Ausnahmen: Kiran Gandhi lief 2015 in London einen Marathon, ohne Tampon, Menstruationstasse oder Binde, die Blutung deutlich für alle sichtbar. Sie wollte sich beim Laufen nicht einschränken lassen. Free Bleeding, das freie Menstruieren, ist für die einen eine Protestform gegen Scham und Stigmatisierung von Frauen, für andere eine Form der Selbstakzeptanz und Befreiung.

Literaturhinweise:

  • Frei, Franka. 2020. Periode ist politisch: ein Manifest gegen das Menstruationstabu. Wilhelm Heyne Verlag.
  • Gray, Miranda. 2011. Roter Mond: von der Kraft des weiblichen Zyklus. Schirner.
  • Kakati, Nilam. 2019. Ritualizing Women Body: An Analysis of Tantric Sacred Geography with special reference to Kamakhya in Assam, International Journal of Social Science and Humanities Research 7.3, S. 158-166.
  • Knust, Christine. 2010. Blut: die Kraft des ganz besonderen Saftes in Medizin, Literatur, Geschichte und Kultur. Kassel University Press.
  • Stirenberg, Tabea. 2022. Scham, Schmerz, Hysterisierung: Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Menstruation als Alltagspraxis. utzverlag GmbH.