Du bist wie deine Mutter - ist das ein Kompliment oder eine Beleidigung? Für manche ist die Mutter so etwas wie die beste Freundin, aber Mutter-Tochter-Beziehungen können auch kompliziert, schwierig, konfliktreich sein. Das hat mitunter damit zu tun, dass die Gesellschaft auch heute noch genaue Vorstellungen davon hat, wie eine perfekte Frau oder Mutter auszusehen hat. Doch es ist nicht immer so, wie es scheint …
Das zeigt sich auch anhand eines Grabfundes: Vor etwa 20 Jahren wurde im österreichischen Wels ein Grab entdeckt, in dem zwei Menschen engumschlungen zusammen mit einem Pferd bestattet worden waren. Zwei Liebende - ist doch klar! Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es sich um eine Mutter-Tochter-Bestattung aus der Römerzeit handelt - ein in vielerlei Hinsicht einzigartiger Fund.
Das Grab ist ungewöhnlich, weil Pferdebestattungen in der Römerzeit selten waren. Außergewöhnlich ist auch, dass Mutter und Tochter, die zur gleichen Zeit verstorben sind, sich umarmend bestattet wurden.
Die Analyse ergab, dass die Mutter etwa 40 bis 60 Jahre alt war und die Tochter etwa 20 bis 25 Jahre. Außerdem weist das Skelett der Mutter Merkmale einer Reiterin auf. Es wird vermutet, dass beide zur gleichen Zeit an einer Krankheit starben.
So überraschend die Entdeckung dieses Grabes war, so voller Überraschungen ist seit jeher die Beziehung zwischen Mutter und Tochter und das Muttersein an sich - über die Zeiten hinweg bis heute.
Sie ist der erste Mensch, zu dem wir eine enge Beziehung aufbauen, noch bevor wir geboren werden: unsere Mutter. Doch in patriarchalisch geprägten Gesellschaften, in denen wir leben, sind die Erwartungen an Mütter und die Rollen, die sie einnehmen, immer auch konfliktreich.
Was bedeutet Mutterschaft heute? Im Grunde ist Mutterschaft ein Beruf, der ein völliges Paradoxon darstellt. Denn von einer Mutter wird erwartet, dass sie in jeder Hinsicht und bei jeder Herausforderung rund um die Uhr perfekt ist, und das ist unmöglich. Mutter zu sein bedeutet, in unsichtbare Normen, Zwänge und Erwartungen eingespannt zu sein, die bis heute von der Gesellschaft getragen werden.
Muttersein und Mutterschaft haben viele Gesichter: Eine Mutter ist aufopfernd und zurückhaltend gegenüber sich selbst, sie ist rund um die Uhr liebevoll im Einsatz, sie ist eine Person, die alles managt. Dabei wird sie genau beobachtet: von den eigenen Kindern, dem Partner, der Herkunftsfamilie, den Schwiegereltern, den Nachbarn, dem Arbeitsumfeld und und und …
Jeder scheint genau zu wissen, was eine Mutter gerade richtig oder falsch macht, was noch optimiert werden könnte. Vorsicht, wenn etwas nicht klappt, wird eine Mutter schnell als Rabenmutter, karrieregeile Egoistin, faules Hausmütterchen oder was auch immer beschimpft. Eine Zerreißprobe für jede Frau, schließlich kann man es nicht mehreren Gruppen gleichzeitig recht machen. Ganz zu schweigen davon - und das wäre eigentlich das Wichtigste - auf sich selbst zu achten und auch für sich selbst zu sorgen.
Der griechische Philosoph Aristoteles (384-322 v. Chr.) hat das Frauenbild über Jahrtausende nachhaltig geprägt. Für ihn waren Frauen Mängelwesen, unvollständige Männer - was sich unter anderem daran zeige, dass nur Männer den lebensspendenden Samen produzieren können - so seine Erklärung. Eine Frau macht sich alle Ehre, wenn sie sich schweigend zurückhält.
Auch lange Zeit nach Aristoteles war sich die Gesellschaft bzw. waren sich die Männer darüber einig. Der fränzösische Gelehrte Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) träumt in seinen reformpädagogischen Schriften von der idealen Frau und wie eine Tochter als solche erzogen werden könne. Denn eine Frau sei dazu da, dem Mann zu gefallen, sich ihm unterzuordnen, stets nützlich und dabei liebend und achtsam, angenehm und süß zu sein.
Und auch Psychoanalytiker haben in der Nachkriegszeit verschiedene Schriften für die Massen verfasst, in denen sie Ratschläge geben, was eine gute Mutter ausmacht: Eine normale Frau und gute Mutter besitzt die Fähigkeit, jede Art von Leid zu ertragen, weil sie durch die Freuden der Mutterschaft, durch die Freude am Kind und durch die Freude am Leben gestärkt wird. Scharen von Müttern waren aufgrund solcher Ratgeber ratlos. Dennoch waren sie bereit, dem beschriebenen Ideal zu folgen.
Allein durch diese drei Beschreibungen aus drei unterschiedlichen Epochen geht hervor, dass ein Muttersein gemäß gesellschaftlicher Vorstellungen doch zum Scheitern vorurteilt sein muss. Trotz dieses Bewusstseins ergeht es heute noch vielen Frauen so, dass sie in alte gesellschaftlich vererbte Muster zurückfallen und Idealen hinterherjagen, die nicht erreichbar sind.
Literaturhinweise: