Geschichtsschreibung

Zwei tibetische Prinzessinnen

Zwei tibetische Prinzessinnen

Das Leben, die tugendhaften Taten und die Lehren der buddhistischen Meister sind in der tibetischen Religionsgeschichte gut bekannt. Wenig ist jedoch über die historische Rolle der Frauen, ihre Aktivitäten oder ihren Einfluss auf die Gemeinschaften überliefert.

Dennoch hat es im Laufe der Zeit immer wieder tibetische Frauen gegeben, die trotz ihrer Marginalität ihren Platz in der Geschichte des Landes gefunden haben, so auch die beiden Schwestern Pema Chodzom und Pema Chozin.

Die beiden Pemas

Pema Chodzom und Pema Chozin waren zwei Schwestern, die im 17. Jahrhundert in die Aristokratie von Lhasa, der Hauptstadt Tibets, hineingeboren wurden. Ihr Bruder, Polhane Sonam Tobgyel, wurde König von Zentraltibet.

Pema Chodzom und Pema Chozin wurden zu zwei bedeutenden Nonnen in Tibet, die einerseits gute Kontakte zu geistlichen Persönlichkeiten unterhielten, andererseits aber auch für den Druck wichtiger buddhistischer Werke verantwortlich waren.

Flucht & Zuflucht

Im Jahr 1717 flohen die Schwestern zusammen mit ihrem Bruder und einem buddhistischen Lehrer aus Lhasa und fanden Zuflucht im Kloster Karye in Mangyul an der Grenze zu Nepal. Sie waren auf der Flucht vor den mongolischen Dzungar-Invasoren. Dies war eine überaus blutige Zeit in Tibet, während der unterschiedliche Menschen aufgrund ihrer buddhistischen Lehrtradition verfolgt und verjagt wurden.

Die Dzungaren folgten dem Dalai Lama und damit der Gelugpa-Tradition. Anderen buddhistischen Traditionen standen sie feindlich gegenüber. Sie waren auch gefürchtet, weil sie für die religiöse Verfolgung in Tibet verantwortlich waren und Klöster angriffen, vor allem solche, die der Nyingma-Tradition angehörten. Die beiden Pemas und ihre Familie folgten der Nyingma-Tradition.

Dann beruhigte sich die Lage wieder. Obwohl Polhane gefangen genommen wurde, wurde er schnell rehabilitiert und erhielt wieder eine einflussreiche Position in Lhasa. Die beiden Schwestern blieben jedoch in Karye. Sie behielten ein gewisses Maß an Reichtum und Privilegien im Kloster, die sie zur Förderung buddhistischer Aktivitäten nutzten.

Buddhistische Schriften

In den frühen 1740er Jahren waren Pema Chozin und Pema Chodzom die Schirmherrinnen und Herausgeberinnen einer 33-bändigen Ausgabe der Gesammelten Nyingma Tantras. Ein solches Projekt erforderte beträchtliche Mittel und Arbeit, und ihre Beteiligung spiegelte nicht nur den hohen Bildungsstand der beiden Schwestern, sondern auch ihren Reichtum und ihre Beziehungen wider.

Obwohl die Geschichte dieser Textsammlung nur Pema Chodzom nennt, die dort als weiblicher Bodhisattva -als ein Wesen, das die höchste Erkenntnis bzw. die Buddhaschaft anstrebt- beschrieben wird, ist es wahrscheinlich, dass beide Schwestern an der Arbeit beteiligt waren.

Das Manuskript wurde von Laurence Austine Waddell (1854-1938) während der britischen Younghusband Invasion in Tibet im Jahr 1904 aus Tibet mitgenommen. Die heute erhaltenen dreißig Bände sind derzeit auf die British Library, die Bodleian Library und das Victoria and Albert Museum verteilt.

Frauen schreiben Geschichte

Betrachtet man historische Texte und mündliche Überlieferungen, kommt man zu dem Schluss, dass Frauen im kulturellen und religiösen Kontext Tibets nie aktive Akteure waren. Es gab jedoch ehrgeizige, mutige und starke Frauen, die Geschichte schrieben. Im Falle der beiden Pemas sogar buchstäblich, indem sie für die Veröffentlichung wichtiger buddhistischer Texte verantwortlich waren. Sie haben demnach Geschichte geschrieben und ihre Zeit aktiv mitgestaltet.

Die Erinnerung an die Geschichten dieser Frauen kann ermutigen, den eigenen Weg zu gehen, bestehende gesellschaftliche Normen nicht unhinterfragt oder stillschweigend zu akzeptieren, sondern als Mensch - und nicht unbedingt als stereotyper Mann oder stereotype Frau - zu handeln.

Literaturhinweise:

  • Erschbamer, Marlene. 2024. Against Marginality, Inequality, and Dependency: Remarkable Buddhist Nuns in Sikkim, IN: Gendered Agency in Transcultural Hinduism and Buddhism, ed. by Ute Hüsken, Agi Wittich und Nanette R. Spina, Routledge, S. 204-219.
  • Erschbamer, Marlene. 2019. The Sisters of Pho lha nas. Preliminary Remarks on Two Women and Their Links to the ‘Ba’ ra ba Bka' brgyud Tradition, IN: Wind Horses: Tibetan, Himalayan and Mongolian Studies, ed. by Andrea Drocco, Lucia Galli, Chiara Letizia, Giacomella Orofino and Carmen Simioli, Series Minor, LXXXVIII, Napoli, S. 139-150.