Haben nur weiße Männer philosophiert? Gängige Standardwerke zeugen von großen abendländischen Denkern, geben Frauen oder sogenannten Randgruppen kaum oder keinen Raum.
Denke ich an den Philosophieunterricht meiner Schulzeit zurück, so ist die Erinnerung ganz eng mit einem einzigen Standardwerk verbunden: Die philosophische Hintertreppe von Wilhelm Weischedel (1905-1975). Wilhelm Weischedel schaffte es, 34 Philosophen und ihre Ideen zugänglich und übersichtlich darzustellen. Er stellte sich die Frage, wie man es wohl schaffen könnte, seinem Sohn komplexe philosophische Inhalte auf verständliche Weise zu vermitteln. Das ist ihm mit diesem Werk wohl gelungen. Allerdings fand ich dieses Buch bereits zu meiner Schulzeit irritierend, weil keine einzige Philosophin darin vorkommt.
Selbst heute wird dieses Buch noch verwendet, um Schülern Grundlagen der abendländischen Philosophie zu vermitteln. Dabei wird –wie in vielen Bereichen– eine Hälfte der Bevölkerung ausgeklammert: die Frauen. Haben Frauen nie philosophiert? Haben sie doch!
Generell haben Menschen schon immer philosophiert, egal welcher geschlechtlichen Zuordnung, Hautfarbe, Religion usw. - wobei ich mich hier auf die Rezeption und Darstellung von Frauen beschränke. Beschäftigt sich das Fach Philosophie allerdings nur mit weißen Männern und ihren Theorien, dann wird man dem Fach Philosophie nicht gerecht.
Nun frage ich mich, wie ich meinen Kindern vermitteln kann, dass neben diesen männlichen, abendländischen Klassikern noch viel mehr in der Philosophie schlummert, das nur darauf wartet, entdeckt und diskutiert zu werden. Seit der Antike gibt es beispielsweise Frauen, die sich mit Philosophie befassen, eigene Werke schreiben und Schüler um sich versammeln.
Sokrates, der im fünften Jahrhundert vor unserer Zeit in Griechenland lebte, gilt als Gründer der abendländischen Philosophie und als einer der bekanntesten Philosophen der Antike. Von ihm selbst sind zwar keine Schriften überliefert, jedoch schrieben seine Schüler über ihn und seine Lehren, wie zum Beispiel Platon. Gemäß dieser Schriften wurde Sokrates auch von zwei Frauen unterrichtet und geprägt: Aspasia und Diotima.
In Weischedel‘s Standardwerk fand keine der beiden Frauen Berücksichtigung. Jedoch wird in Verbindung mit Sokrates eine Frau genannt: Xanthippe, Frau des Sokrates, die als Urtyp eines häuslichen Drachens und eines widerspenstigen Weibes stilisiert wurde. So viel zum traditionellen Frauenbild…
Fairerweise muss erwähnt werden, dass Weischedel‘s Buch in den 1960er Jahren veröffentlicht wurde. Damals herrschte ein anderes Rollenverständnis, was sehr anschaulich in Werbespots aus jener Zeit ersichtlich wird.
Es geht aber auch anders. Eine Geschichte der Philosophinnen liefert etwa die Schriftstellerin und Philosophin Ingeborg Gleichauf. In ihrem Buch porträtiert sie 44 Denkerinnen von der Antike bis zur Gegenwart – auch Aspasia und Diotima. Vielleicht waren Frauen etwas leiser. Vielleicht bekamen Frauen weniger Rampenlicht. Es gab sie aber doch, die großen Denkerinnen.
Die Geschichte der Philosophinnen ist auch die Geschichte ihres Kampfes um Anerkennung der Leistung, die sie erbracht haben. Viel häufiger als ihre männlichen Kollegen waren denkende Frauen der Herabsetzung und dem Klatsch ausgesetzt.
Diese Frauen haben es verdient, dass man sich ihrer erinnert und sie als Teil unserer Geschichte und unseres kulturellen Gedankengutes anerkennt. Nicht nur große Denker prägen unsere Sicht der Dinge, auch Frauen haben ihren Anteil daran – und das häufiger, als einem vielleicht bewusst ist.
Literaturhinweise: