Czernowitz, eine Stadt in der heutigen Westukraine, hat mehrere Dichter hervorgebracht, darunter Paul Celan (1920-1970) und Rose Ausländer (1901-1988). Czernowitz ist ein Mythos, ein Ort, an dem sich über Jahrhunderte jüdische, deutsche, ukrainische und rumänische Kultur begegneten. Dieser Schmelztiegel der Kulturen hat inspiriert - auch Rose Ausländer.
Rose Ausländer wuchs in einer jüdischen Familie am Rande der Habsburger Monarchie auf. Dann kamen die Sowjets und die geborene Rosalie Scherzer musste mit ihrer Familie über Budapest nach Wien fliehen.
Es war der Beginn zahlreicher Reisen durch die Welt: auf der Flucht, im Kampf ums Überleben, auf der Suche nach einer Heimat, die sie schließlich im Wort fand - ihr Mutterland.
Mutterland
Mein Vaterland ist tot
sie haben es begraben
im Feuer
Ich lebe
in meinem Mutterland
Wort
Nach ihrer Rückkehr begann sie ein Studium der Literatur und Philosophie an der Universität Czernowitz. Doch schon bald emigrierte sie mit ihrem Studienfreund Ignaz Ausländer nach Amerika, wo sie als Hilfsredakteurin arbeitete und erste Gedichte veröffentlichte. Es folgten weitere berufliche Stationen als Bankangestellte, Journalistin und Schriftstellerin, bevor sie 1931 mit ihrer großen Liebe Helios Hecht nach Czernowitz zurückkehrte.
Dann sperrten die Nazis sie ins Ghetto. 1941 lernte sie im Czernowitzer Ghetto Paul Celan kennen. Nur knapp überlebte sie den Holocaust.
Vater unser
nimm zurück deinen Namen
wir wagen nicht
Kinder zu sein
Wie
mit erstickter Stimme
Vater unser sagen
Zitronenstern
an die Stirn genagelt
Lachte irr der Mond
Trabant unserer Träume
Lachte der tote Clown
der uns einen Salto versprach
Vater unser
wir geben dir zurück
deinen Namen
spiel weiter den Vater
im kinderlosen
luftleeren Himmel
Nach dem Krieg emigrierte sie erneut in die USA. Auf einer weiteren Europareise traf sie Paul Celan in Paris wieder. Es war eine entscheidende Wiederbegegnung, denn von nun an veränderte sich ihr lyrischer Stil.
Gesundheitlich schwer angeschlagen, zog sie 1971 in das Nelly-Sachs-Altersheim in Düsseldorf, wo in den 18 Jahren ihres Aufenthaltes der größte Teil ihrer Werke entstand. Obwohl sie ihr Leben lang Gedichte geschrieben hatte, wurde sie erst im Altersheim berühmt.
Zeit ihres Lebens war sie auf der Suche nach Heimat. Sie hatte die Emigration, zwei Weltkriege, den Holocaust, die brutalen Wunden eines ganzen Jahrhunderts überlebt. Doch eine wirkliche Heimat fand sie wohl nur im Wort, in der Sprache, ihrer Sprache.
Ein bekanntes Sprichwort besagt, dass die Zeit alle Wunden heilt. Stimmt das oder ist es nur ein Klischee? Die Dichterin Rose Ausländer hat im Laufe ihres Lebens viele Wunden erlitten - ob sie alle verheilt sind, sei dahingestellt …
Literaturhinweise: