Pionierinnen

Der Zeit voraus

Der Zeit voraus

Victoria Woodhull (1838-1927) war die erste Frau, die für die US-Präsidentschaft kandidierte. Und das zu einer Zeit, in der Frauen in den USA noch kein Wahlrecht hatten.

Ihr Leben ist eine spannende Reise durch die kulturellen, politischen und sozialen Umbrüche des 19. Jahrhunderts. Es waren Umbrüche, die zum Teil bis heute nicht abgeschlossen sind.

Frühe Jahre

Ihre Kindheit ließ nichts von den ungeahnten Möglichkeiten erahnen, die sich ihr später eröffnen sollten. Sie wurde in eine Familie hineingeboren, die in ärmlichen Verhältnissen lebte. Das Geld wurde mit Wahrsagen, teilweise mit Erpressung oder mit dem Führen eines Bordells verdient.

Victoria Woodhulls frühe Jahre waren geprägt von harter Arbeit, häufigen Ortswechseln und Entbehrungen. Doch sie war fest entschlossen, aus ihren Verhältnissen herauszukommen.

Ehe als Flucht

Mit 15 Jahren heiratete sie einen Arzt. Es war wohl eine Flucht aus ihren ärmlichen Verhältnissen. Ihr Mann entpuppte sich als Alkoholiker. Victoria musste den Lebensunterhalt für sich und die beiden Kinder weitgehend allein bestreiten.

Zunächst arbeitete sie als Schauspielerin, ein Beruf, der damals mit sexuellen Darbietungen oder gar Prostitution verbunden war. Dann kehrte sie mit den Kindern zu ihren Eltern zurück und ließ sich scheiden.

Heilerin und Wahrsagerin

In den folgenden Jahren verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Heilerin und Wahrsagerin. Dabei lernte sie ihren späteren zweiten Ehemann James Harvey Blood kennen. Mit einem Planwagen zogen sie durchs Land und konnten von Victoria Woodhulls Arbeit als Heilerin und spirituelle Beraterin gut leben.

Erste Börsenmaklerin

Zusammen mit ihrer Schwester Tennessee Claflin zog sie 1868 nach New York. 1870 gelang es den beiden Schwestern, an der Wall Street ein Maklerbüro zu eröffnen - das erste von Frauen geführte.

Das galt als Provokation. Doch sie waren sehr erfolgreich und machten große Gewinne. Ihre Zielgruppe waren vor allem wohlhabende Frauen, aber auch Männer gehörten zu ihrer Kundschaft.

Aufsehen erregten die beiden Schwestern auch durch ihr Äußeres. Sie trugen ihr Haar kurz und kleideten sich männlich.

Erste Kandidatin für die US-Präsidentschaft

Dann gab sie 1872 ihre Kandidatur für das Präsidentenamt bekannt. Ein historisches Ereignis, das von allen Seiten heftig kritisiert wurde. Zum einen wagte sie als Frau eine Kandidatur, zum anderen war sie wegen ihrer unkonventionellen Ansichten umstritten.

Zum Zeitpunkt ihrer Kandidatur hatten Frauen in den USA noch kein Wahlrecht. Von den Konservativen wurde sie als “Mrs. Satan” verspottet.

Einsatz für Frauenrechte

Victoria Woodhull engagierte sich in der Frauenrechtsbewegung. Doch ihre Ideen waren oft umstritten. Das lag unter anderem daran, dass sie für freie Liebe eintrat. Sie war überzeugt, dass jeder Mensch das Recht habe, Beziehungen ohne Einmischung von Kirche oder Staat zu leben.

Sie besaß die Gabe, mit ihren öffentlichen Auftritten Tausende von Menschen zu begeistern. Sie war rhetorisch versiert und hatte eine charismatische Ausstrahlung.

In ihren Reden sprach sie offen und durchaus provokativ über Themen, die ihr am Herzen lagen, wie zum Beispiel Gewalt gegen Frauen, Sexualität und Abtreibung. Dazu veröffentlichte sie regelmäßig Artikel in verschiedenen Zeitungen. Das brachte ihr Bewunderung, aber auch viel Kritik und Feinde ein. Mehrmals wurde sie wegen ihres Aktivismus sogar inhaftiert.

Späte Jahre

Es waren turbulente Jahre in ihrem Leben, als sie beschloss, den USA den Rücken zu kehren. Sie zog mit ihrer Familie nach London, wo sie Vorträge hielt. Das Thema, das sie nun am meisten beschäftigte, war die Geburtenkontrolle.

Sie heiratete ein drittes Mal. Von 1892 bis 1901 gab sie mit ihrem dritten Ehemann und ihrer Tochter eine Monatszeitschrift für Soziologie heraus, The Humanitarian. Darin schrieb sie über Frauenbefreiung und Geburtenkontrolle, um ihre sozialen Theorien wissenschaftlich zu untermauern.

Zeit ihres Lebens setzte sie sich für ihre Überzeugungen ein, durchbrach festgefahrene gesellschaftliche Schranken und inspirierte. Sie stammte aus ärmlichen Verhältnissen, hatte aber große Träume und stellte sich mit Entschlossenheit und Mut allen Hindernissen, die das Leben für sie bereithielt.

Literaturhinweise:

  • Finneman, Teri Ann. 2015. Press Portrayals of Women Politicians, 1870s-2000s: From “lunatic” Woodhull to “polarizing” Palin. Lexington Books.
  • Frisken, Amanda. 2004. Victoria Woodhull’s Sexual Revolution: Political Theater and the Popular Press in Nineteenth-century America. University of Pennsylvania Press.
  • Kinzig, Silke. 2007. Auf dem Weg zur Macht? Zur Unterrepräsentation von Frauen im deutschen und U.S.-amerikanischen Regierungssystem. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Schrupp, Antje. 2002. Das Aufsehen erregende Leben der Victoria Woodhull. Helmer.